Mit meinem Rucksack auf dem Rücken drängele ich mich mit zahlreichen anderen ungeduldigen Passagieren durch die schmalen Treppenaufgänge. Wir alle wissen: Jetzt ist keine Zeit für Rücksichtnahme, wir müssen unseren Schlafplatz sichern, denn der wird darüber entscheiden, wie wir die nächsten drei Nächte an Bord des Amazon Star verbringen.
Die Hängematten als Schlafplatz sind wohl das typischste und einprägsamste Erlebnis dieser Flussfahrt auf dem Amazonas. Für den doppelten Fahrpreis hätten wir eine Mini-Kabine mit Klimaanlage buchen können, aber eigentlich wollten wir uns das Hängematten-Erlebnis nicht entgehen lassen.
Flussfahrt Amazonas: Authentisch reisen in Brasilien
Die Flussboote sind keine Touri-Schiffe, sondern authentische Fortbewegungsmittel in der Amazonas-Region. In dem dichten Regenwaldgebiet gibt es kaum Straßen, deshalb verbinden die Fluss-Dampfer die kleinen Orte und Städte entlang des Amazonasufers miteinander. Etwa 12 bis 15 Passagierboote pendeln regelmäßig auf der 1500 km langen Strecke zwischen Belém, dem „Eingangstor zum Amazonas“ nahe der Atlantikmündung, und Manaus, der Zweimillionen-Metropole mitten im Dschungel.
Als ich endlich das Schlafdeck erreiche müssen sich meine Augen erstmal ein paar Sekunden an den ungewöhnlichen Anblick gewöhnen. Unerwartet werden sie mit einem chaotischen Wirrwarr aus kunterbunten Stofffetzen konfrontiert: Lauter wild durch-, unter- und übereinander aufgespannte Hängematten. Irgendwo dazwischen werden auch wir unsere mitgebrachten Hängematten quetschen müssen.
Flussfahrt Amazonas: Übernachten in Hängematten
Glücklicherweise hatte ich in Vorbereitung auf unseren Amazonas-Trip das Übernachten in einer Hängematte bereits während unserer Reise im tropischen Norden Brasiliens geübt und festgestellt, dass ich darin sehr gut schlafe. Nur waren mir die Platzverhältnisse an Bord nicht bewusst. Ca. 800 Passagiere passen auf die Boote, aber ich bezweifle, dass die Betreiber es mit den maximalen Kapazitäten so genau nehmen.
Das Leben auf dem Boot ist ein ganz eigener Kosmos und eine unglaublich spannende Erfahrung. Luxus darf man nicht erwarten, die Fahrt hat nichts mit den zahlreichen Cruise-Schiffen gemein, die sonst die Touristen über den Amazonas schippern. Die Fluss-Boote sind ein wirklich authentisches Transportmittel, mit denen sich die Einheimischen in ihrer Region fortbewegen. Für Reisende ist es eine wunderbare Möglichkeit, den Amazonas hautnah zu erleben, unter Einheimischen zu reisen und sich relativ günstig fortzubewegen.
Die Hängematten hängen dicht an dicht und bald stellt sich eine heimelig-vertraute Atmosphäre ein. Mit den Schlafnachbarn freunden wir uns schnell an, schließlich werden wir die nächsten Tage auf dichtem Raum nebeneinander verbringen. Außerdem ist es immer gut, jemand zu haben, der auf die persönlichen Sachen aufpasst, falls man sich doch mal überwindet, die nicht gerade sauberen Sanitäranlagen aufzusuchen oder sich aufmacht, das wundersame Treiben an Bord zu erkunden.
Flussfahrt Amazonas: Fünf Tage für 1.500 Kilometer
Da wir gegen die Flussströmung fahren, von Belém im Norden Brasiliens mitten ins Landesinnere, brauchen wir für die 1.500 km ganze fünf Tage. In die andere Richtung dauert es nur drei Tage. Allerdings fahren die Schiffe dann weiter in der Mitte des Flusses, während sie flussaufwärts dichter am Ufer fahren. Dadurch sehen wir mehr vom Regenwald und seinen Bewohnern. Es lohnt sich also, auf dieser Strecke langsamer unterwegs zu sein, auch wenn das mehr Zeit und Geld kostet. Auf jeden Fall sollte man auf auf halber Strecke einen Zwischenstopp in Santarém im Bundesstaat Pará einlegen, um die fünftägige Flussfahrt auf dem Amazonas wenigstens einmal zu unterbrechen. Außerdem gibt es in der Nähe von Santarém den wohl schönsten Dschungel-Strandort der Welt (Alter do Chão) und großartige Nationalparks (Floresta Nacional do Tapajós).
Wir verbringen also jeweils drei und zwei Tage auf dem Schiff. Langweilig ist das definitiv nicht. All den Lesestoff, die Filme auf meinem Laptop und die Musik, die ich vorsichtshalber mitgebracht habe, brauche ich an Bord nicht. Es ist aufregend genug, die vorbeiziehende Landschaft zu bestaunen: den Anblick der schier unglaublichen Ausmaße dieses majestätischen Flusses, den dichten Regenwald und die Spuren menschlichen und tierischen Lebens.
Flussfahrt Amazonas: Das Treiben an Bord
Allein schon das Treiben an Bord ist unglaublich spannend. Auf dem oberen Deck befindet sich die Bar, naturgemäß der wichtigste soziale Treffpunkt. Hier kann man sich während der drückenden Hitze des Tages mit kalten Getränken und Eiscreme versorgen und abends zum Sonnenuntergang ein kühles Bier schlürfen. An den weißen Plastiktischen vertreiben sich die brasilianischen Männer mit Karten- und Dominospielen ihre Zeit. Aus den Boxen dröhnt den ganzen Tag lang Forró und andere brasilianische Musik. Viele Passagiere stellen sich die Stühle an die Reling und genießen das vorbeiziehende Panorama wie im Kino mit einem Getränk und Snacks in der Hand.
Im unteren Deck dösen die Menschen in ihren Hängematten vor sich hin, so manch einer scheint sie den ganzen Tag lang nicht zu verlassen. Kinder spielen zwischen den Hängematten Verstecken oder rennen kreischend die Decks rauf und runter. Die generell große Kinderzahl in Brasilien erscheint auf dem Boot noch potenzierter.
Flussfahrt Amazonas: Von Belém nach Santarém
Besonders schön ist die erste Teilstrecke von Belém nach Santarém, da die Boote hier sehr dicht am Ufer entlang fahren und auch engere Kanäle passieren. Hier bieten sich die größten Chancen, ein paar nicht-menschliche Amazonas-Bewohner zu sichten. Leider wird das durch den Schiffsmotor erschwert, der Motor unablässig und viel zu laut vor sich hin brummt. Manche Passagiere meinen, Affen gesichtet zu haben. Vögel kann man relativ leicht entdecken, vor allem Garças, mit viel Glück auch Papageien und andere exotische Arten. Immerhin: Die hinreißenden botos, rosa Süßwasserdelfine und typische Amazonas-Bewohner, zeigen sich regelmäßig oberhalb der Wasserfläche. Nur auf einem Foto wollen sie sich partout nicht verewigen lassen. Irgendwann entspanne mich und genieße einfach nur ihren Anblick. Besonders viel bekommt man vom Tierleben im Amazonas auf dieser Flussfahrt leider nicht mit. Dazu müssten wir tiefer in den Dschungel rein und vor allem dieses laute Boot verlassen.
Flussfahrt Amazonas: Die Einheimischen
Umso sichtbarer sind dafür die menschlichen Amazonas-Bewohner. Entlang des Ufers sieht man zahlreiche kleine, ganz einfache Holzhütten mit einem Steg und kleinen Fischerbooten. Manchmal stehen mehrere Häuser nebeneinander, manchmal taucht ein kleines Häuschen völlig isoliert und allein am Flussufer auf und danach kommt wieder kilometerlang nichts. Es ist faszinierend, das zu sehen und sich vorzustellen wie diese Menschen wohl leben, mitten im Dschungel am Ufer dieses riesigen Flusses. Die nächsten Orte können sie nur mit ihren kleinen Holz-Booten erreichen, die teilweise noch nicht mal einen Motor haben.
Was ich vorher nicht wusste: Sobald sich ein Passagierboot nährt schwingen sich die Bewohner dieser kleinen, bescheidenen Hütten in ihre klapprigen Holzkanus und paddeln auf den Fluss, in der Hoffnung, dass die Passagiere Kleidung oder Süßigkeiten über Bord werfen. Viele Passagiere werfen ihre Gaben verpackt in Plastiktüten in den Fluss, woraufhin die Wartenden eifrig lospaddeln, um die begehrte Ware als Erster zu erreichen und aus dem Wasser zu fischen. Es muss unglaublich schwierig sein, mitten im Amazonas an neue Kleidung oder eben auch so etwas wie Süßigkeiten zu kommen. Dementsprechend zahlreich sind auch die hoffnungsvollen Gesichter in den Holzkanus, darunter zahlreiche Kinder. Sie tauchen den ganzen Weg über auf und manchmal kommt es mir vor, als nehme die Schlange aus Kanus kein Ende. Gut, wenn man das vorher weiß und ein paar Geschenke einpackt.
Flussfahrt Amazonas: Florierender Handel an Bord
Dann sind da noch die Händler, die energisch auf unser vergleichsweise riesiges Boot zu paddeln, eine lange Leine mit Haken auswerfen und sich an das Boot hängen. Als ich das zum ersten Mal sehe, erschrecke ich. Ich hatte vorher im Reiseführer gelesen, dass manchmal Diebe ins Boot steigen, um vielversprechende Gepäckstücke über Bord und ins Boot ihres wartenden Kompagnons zu werfen.
Doch dann erblicke ich die Einweggläser in dem Boot, die mit einer Art Käse gefüllt sind, und sehe Passagiere, die den Jungs ins Schiff helfen. Binnen weniger Minuten sind sie die heißbegehrte Ware los und viele kaufwillige Passagiere gehen leer aus.
Das Essen auf dem Schiff ist nicht besonders und außerdem teuer. Deshalb freuen sich alle riesig über die mobilen Händler, die ihre frische Ware zu fairen Preisen verkaufen. Sie bringen vor allem getrocknete Shrimps und frische Früchte unter die Leute. Auch an den Häfen in den kleinen Orten am Ufer des Flusses, in denen wir in ca. fünf- bis sechsstündigen Abständen anlegen, warten Händler, um fertige Gerichte, Eis, selbst gebackenen Kuchen und Gebäck, doce de leite, Bananenchips, Maiskolben, Käse und Früchte zu verkaufen. Lässt man sie nicht an Bord, befestigen sie ihre Köstlichkeiten an langen Stöcken und reichen sie so den drängelnden Passagieren auf den oberen Decks.
Der Amazonas ist mit Abstand der Fluss mit dem größten Wasservolumen weltweit. Die nächsten sieben größten Flüsse haben nicht mal zusammen so viel Wasser. Manchmal können wir das Ufer fast nicht mehr sehen und fühlen uns wie auf dem Meer. Nur der unverkennbare Karamellton des Amazonas erinnert uns immer wieder daran, dass wir auf dem mächtigsten Fluss der Erde treiben.
Flussfahrt Amazonas: Abholzung und andere Schrecken
Leider werden wir, vor allem auf der zweiten Strecke von Santarém nach Manaus, auch Zeugen der unglaublich weit fortgeschrittenen Abholzung des Regenwaldes. Das ist vor allem traurig, wenn man ihn davor in seiner vollen Pracht gesehen hat. Dann ist da auf einmal nichts mehr. Tote, vertrocknete Bäume, die in der Gegend rumliegen oder im Wasser schwimmen, abgebrannte Flächen und Erosion. Auf den abgeholzten Flächen grasen nun hauptsächlich Rinder ihrem baldigen Tod entgegen.
Als ich in der letzten Nacht unserer ersten Teilstrecke nach Santarém schon fast in meiner Hängematte eingeschlummert bin, weckt mich meine Reisebegleitung plötzlich etwas unsanft: „Es brennt!“
Ich bin sofort hellwach, schaue mich um und sehe eine Stichflamme aus der Klimaanlage flackern. Binnen Sekunden breitet sich Rauch auf dem gesamten Deck, unserem „Schlafsaal“, aus. Die anderen Passagiere beginnen, hektisch ihre Sachen zu sammeln, greifen nach den Schwimmwesten und laufen aufs obere Deck. Kinder weinen. Da bekomme ich einen ganz schönen Schreck. Ich greife nach einer Schwimmweste und bitte gleichzeitig inbrünstig darum, doch bitte nicht in diesen k***braunen Fluss zu den nachtaktiven Kaimanen springen zu müssen. Rettungsboote, stelle ich in diesem Moment fest, gibt es an Bord nicht, nur Schwimmwesten.
Auf dem oberen Deck angekommen fiel dann auch noch der Strom aus und der Motor gab sein ewiges Brummen auf. So treiben wir eine Weile über den dunklen, stillen Fluss.
Nach der ersten Panik wir mir auf einmal bewusst, was für ein Geschenk dieser ungewollte Zwischenfall ist.
Nun, da alle Lichter an Bord erloschen sind, können wir den unglaublich reich behangenen Sternenhimmel sehen. Die Sterne funkeln eindringlich in der dunklen Nacht. Eine intensiv leuchtende Sternschnuppe blitzt am Firmament auf. Der Anblick beruhigt uns und da es vorerst nicht so aussieht, als ob wir ins Wasser müssen, können wir den Moment in vollen Zügen genießen. Wir nehmen die herrliche Stille um uns herum wahr. Dann auch das nächtliche Dschungel-Konzert – das Zirpen der unterschiedlichsten Insekten, das Quaken der Frösche und andere nicht identifizierbare Geräusche – und die Stille dazwischen.
Nach knapp einer Stunde heult der Motor plötzlich wieder auf und alles kehrt zur Normalität zurück. Auf dem Schlafdeck riecht es noch ein wenig nach Rauch, doch wir schlafen trotzdem schnell ein, dankbar für diesen Zwischenfall, der uns für einen Moment aus der Routine gerissen und die zauberhafte Nacht mitten im Amazonas gezeigt hat.
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